Die Reste aus zwei Welten

Ich bin eigentlich kein Freund vom Crossover-Konzept. Nur weil man gute Ansätze aus zwei Welten kombiniert, heißt das noch lange nicht, dass die Summe der einzelnen Teile auch wieder ein überzeugendes Ganzes ergibt.
Mein aktuelles Lieblingsbeispiel sind da ganz klar diese „schicken“ SUV, von denen die meisten weder auf einem geschotterten Waldweg, noch im asphaltierten Großstadtdschungel eine wirklich gute Figur machen. Während man bei den einen, aufgrund des fehlenden Allradantriebes, schon bei einer größeren Pfütze Schweißausbrüche bekommt, drohen selbige bei den anderen während der Fahrt durch das Parkhaus des Konsumtempels am verkaufsoffenen Sonntag. Da werden die Parkbuchten oft nicht nur erstaunlich eng, sondern beim Öffnen der Heckklappe das Parkdeck auch verdammt niedrig. Und hat die Fuhre dann doch ohne Kratzer in die Lücke gepasst (Mutti vom Beifahrersitz ist ja vorher brav ausgestiegen), bekommt der Parknachbar einen Herzkasper, weil ihm nur 20 Zentimeter zum öffnen der Fahrertür bleiben. Glückwunsch.

Aber genug der düsteren Phantasien aus muffigen Parkhäusern, konzentrieren wir uns lieber auf die schönen Dinge des Lebens – Motorräder.
Doch der kurze Exkurs zu den SUVs hat natürlich seinen Grund und der trägt einen Namen: Honda Crossrunner. Auch hier soll, wie bei den vierrädrigen Pendants, der Spagat zwischen zwei unterschiedlichen Konzepten ein stimmiges Ganzes ergeben und wie zu erwarten, ist natürlich auch im Zweiradsegment die Tendenz zum Crossover-Konzept alles andere als der reinste Segen.

Dem Ernstkontakt mit dem Honda Crossrunner stand ich dementsprechend kritisch gegenüber. Privat bevorzuge ich reinrassige Sportler, deren Kompromissbereitschaft in der Regel nur so weit geht, dass sie eben jene vom Fahrer abverlangen. Alltagstauglichkeit und Übersicht durch aufrechte Sitzposition? Fehlanzeige. Tourenspaß dank eines vollwertigen Soziussitzes und eines optionalen Gepäcksystems? Gott bewahre!
Und nun kommt Honda mit der Crossi daher und die Mannen aus Fernost versprechen vollmundig das Beste aus zwei Welten. Die Marketing-Texte bewerben dabei nicht nur die „sportliche Vielseitigkeit und aufregende Dynamik eines Performance-Naked Bikes“, sondern auch den „robuste Auftritt eines Adventure-Bikes“.

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Honda Crossrunner: Versprüht schon im Stand „aufregende Dynamik“

Und dieser robuste Auftritt, besser, die robuste Optik überzeugt mich nur bedingt und auch das nur auf den ersten Blick. Wirkt das hochbeinige Schnabeltier aus der Zuschauerperspektive tatsächlich noch so, als könnte man mit ihr auch die Verwandten an entlegeneren Waldseen besuchen, ändert sich der Eindruck beim Platznehmen völlig.

Hier versprüht die Crossi leider schnöden Plastik-Charme und erinnert, dank des verkleideten Lenkers, eher an einen großen Roller, denn an ein Adventure-Bike. Und noch ein weiterer Kritikpunkt springt einem aus der Fahrerposition direkt ins Auge – der miserabel abzulesende Drehzahlmesser. Während der Tacho und der Füllstandsanzeiger des Tanks noch einigermaßen erkennbar sind, lassen sich alle anderen Informationen nur erahnen. In Kombination mit der Optik eines 90er Jahre-Tele-Spiels, reicht es für das Kombi-Instrument im Stand gerade für ein „Ausreichend“ in meiner persönlichen Fahrzeugbewertung. Wie gesagt, im Stand.

Da ich die ersten Meter auf der Crossi auf der kleinen, aber feinen Teststrecke des Driving-Center-Baden zurücklegen durfte, wurde das Armaturenbrett jedoch umgehend auf „Ungenügend“ herabgestuft.

Wie jeder weiß, ist die aktuell gefahrene Geschwindigkeit auf abgesperrten Strecken eher nebensächlich. Dafür rückt jedoch die Drehzahl und somit auch das diese anzeigende Instrument in den Vordergrund. Fragen wie: „Hab ich die richtige Drehzahl für die angepeilte Kurve?“ oder „Schalte ich vorm Ende der Gerade noch mal hoch oder reicht das Drehzahlband bis zum Bremspunkt aus?“ sollten durch einen kurzer Blick auf die Infozentrale beantwortet werden können. Zumindest theoretisch.

Ganz anders verhält es sich beim Crossrunner. Das Instrument der Honda thront zwar prominent vorm Fahrer und zieht, im wahrsten Sinne des Wortes, alle Aufmerksamkeit auf sich – wirklich schlau wird man daraus aber nicht. Und dabei braucht man ja gerade beim Motorradfahren seine ganze Konzentration, um so Nebensächlichkeiten wie Straßenzustand, Kurvenverlauf oder sein Umfeld zu erfassen.

Ja ja, ich weiß, kaum einer der Crossi-Treiber wird sein beschnabeltes Zweirad jemals auf der Rennstrecke bewegen. Dennoch werden hier solche Unzulänglichkeiten besonders deutlich. Und wie ja jeder weiß, kann besonders im Straßenverkehr ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit schwerwiegende Folgen haben.

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Hat was von einem Telespiel, macht aber viel weniger Spaß – die Infozentrale des Crossrunner.

Aber genug gemosert. Denn abgesehen vom Drehzahlmesser entwickelt sich die Honda auf der anspruchsvollen Teststrecke zum echten Spaßvogel. Zu meiner Überraschung schlägt sich die Honda auf dem 2,77 km langen, eher als Handling-Parcours zu bezeichnenden, Kurs am Baden Airpark ausgesprochen gut.

Die Sitzposition soll zwar eher bequem-touristisch, denn sportlich fordernd sein, erlaubt aber, dank der doch recht hoch positionierten Fußrasten und dem daraus  resultierenden, sportiven Kniewinkel, den Crossrunner in zügiger Gangart um den Kurs zu scheuchen.

Dabei ist die Honda mit ihren 238 kg definitiv kein Handlingwunder. Der breite und vor allem hohe Lenker unterstützt den Fahrer aber enorm beim Abwinkeln im kurvigen Geläuf.

Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Denn gerade beim Lenker werden auch wieder weniger schöne Eigenschaften des Crossover-Konzeptes deutlich. Zwar lässt sich die Honda dank der breiten Lenkstange gut in die Ecken werfen. Durch die enorme Höhe stellt sich aber auch kaum ein Gefühl fürs Vorderrad ein. Infolgedessen bedarf es bei härteren Bremsmanöver eher eines glücklichen, denn eines gefühlvollen Händchens, um die Fuhre auf den Punkt zu verzögern.

Und man kann sich beim Bremsen auch nur schlecht am hohen Lenker abstützen. In Kombination mit der recht sportlichen Fußrastenpositionierung und einer sehr rutschigen Sitzbank, ist man in der Bremszone auf dem Mopped ziemlich haltlos unterwegs und rutscht unweigerlich in Richtung Tank.

Zum Glück ist die Sitzbank aber in alle Richtungen gleichermaßen glatt, sodass man beim Spannen des Hahns am Kurvenausgang wieder in seine Ausgangsposition zurückrutscht. Das hat ja auch was.

 

Kann auch positiv überraschen: Spaßige Runden mit dem Crossrunner auf Rennasphalt

Positive Überraschung: Auf Rennasphalt ist der Crossrunner ein echter Spaßvogel

Apropos „Hat was“. Ein echter Freudenspender ist der Motor des Crossrunner. Eigentlich ein alter Bekannter aus der VFR, hat er in der Crossi sowohl bei der Spitzeleistung (102 statt 109 PS), als auch beim Drehmoment (74 statt 80 NM) etwas an Kraft eingebüßt. Dafür ist das nutzbare Drehzahlband etwas breiter geworden und ab 3.000 Touren ist verwertbare Leistung vorhanden. Wenn der VTEC-Motor bei 6.000 Umdrehungen dann vom Zwei- zum Vierventiler mutiert, geht die Fuhre richtig vorwärts. Das Zünden der zweiten Leistungsstufe wird durch einen etwas kernigeren Sound untermalt, sodass die Beschleunigung sogar akustisch etwas hermacht. Bis in den knapp fünfstelligen Bereich ist dann ununterbrochen Schub vorhanden und der geringe Leistungsverlust lässt sich gut verschmerzen. So freut man sich jedes Mal am Kurvenausgang auf die magische Sechstausendergrenze und kann mit der Crossi auch auf Rennasphalt ein paar spaßige Stunden verbringen.

Bemerkenswert ist an dieser Stelle die von Honda gewählte Erstbereifung. Der montierte Pirelli Scorpion zeigte echter Nehmerqualitäten und erlaubte sich keine Ausrutscher. Allerdings war es während des gesamten Testtages bewölkt und es herrschten lediglich 15°C Außentemperatur.

Bei milderem Wetter ist von solchen Rennstreckenexperimenten also vermutlich eher abzuraten.

Hinterreifen

Hondas Erstbereifung, der Pirelli Scorpion, zeigte erstaunliche Nehmerqualitäten

Aber genug der Rennerei. Der Crossrunner will ein Alleskönner sein und so wollen wir Ihr auch überall auf den Zahn fühlen. Egal, ob Brötchen holen, Schwarzwald-Tour oder Autobahnetappe, keine der Standardaufgaben eines solchen Allround-Moppeds sollte vernachlässigt werden.

Und hier sollte natürlich auch die Stunde der Honda schlagen, deren eigentliche Stärken ja im Kampf gegen die Widrigkeiten des Alltags liegen. Nun freut man sich über den hohen Lenker, der einem bei Bummeltempo die Handgelenke entlastet oder das breite Drehzahlband, dass einem im zähfließenden Stadtverkehr die stressige Quirlerei im Getriebe erspart. Auch der Hauptständer hat hier seine volle Daseinsberechtigung.

Ein Kritikpunkt, der schon auf den ersten, zügigen Metern auf der Rennstrecke in den Fokus rückte, fällt aber auch auf dem Weg zum Supermarkt wieder auf – die rutschige Sitzbank.

Handelt es sich bei der Materialpaarung nun um Leder(-kombi) und (Kunststoff-)Sitzbank oder um Sitzbank(-Kunststoff) und (Levis-)Jeans – die Haftreibung geht gefühlt immer gegen Null.

Dafür erfreut man sich im Normalbetrieb aber an anderen Kleinigkeiten, wie zum Beispiel den einstellbaren Brems- und Kupplungshebeln, der gute Verarbeitung oder dem hervorragenden Scheinwerfer, der auch die nächtliche Heimfahrt nicht zum nervenaufreibenden Horror-Trip macht.

Und noch ein Ausstattungsdetail der Crossrunner erwies sich im Test als Segen – das ABS. Das eingangs bereits erwähnte, fehlende Gefühl fürs Vorderrad sorgte auf einer etwas unterkühlten Runde durch den Nordschwarzwald für ein kurzzeitiges Stocken des Atems durch ein überraschend blockierendes Vorderrads. Gefühlt noch Lichtjahre vom Maximum der Rollreibung entfernt, geriet ein beherztes Bremsmanöver, ausgelöst durch ein heranrasendes Ortschild, zum ungewollten Funktionstest von Hondas C-ABS. Anschließendes, mehrmaliges Wiederholen solcher Bremsmanöver führte immer wieder zum selben Effekt und in den Regelbereich des Bremsassistenten. Sicher haben die einstelligen Temperaturen sowie die, durch das Bummeltempo, kalten Reifen einen Teil dazu beigetragen. Nichtsdestotrotz hat mich der frühe Grenzbereich doch einigermaßen überrascht.

Das Honda C-ABS erwies sich auch bei trockenen Bedingungen als sehr beruhigend. Wenig Gefühl fürs Vorderrad und niedrige Temperaturen reichten aus, um bei beherzteren Bremsmanövern das Vorderrad zum Blockieren zu bringen.

Das Honda C-ABS erwies sich auch bei trockenen Bedingungen als sehr beruhigend. Wenig Gefühl fürs Vorderrad und niedrige Temperaturen reichten aus, um bei beherzteren Bremsmanövern das Vorderrad frühzeitig zum Blockieren zu bringen.

Die Heimfahrt erfolgte dann aufgrund drohender Dunkelheit über die Autobahn. Also den als Overdrive agierenden 6. Gang eingelegt und den Hahn gespannt.

Aber auch hier wird wieder deutlich, dass das Mischkonzept aus Adventure- und Naked Bike nicht überall überzeugen kann. Will man zügig Strecke machen, hängt man durch die aufrechte Sitzposition und den sehr hohen Lenker wie ein Segel im Wind. Ab 150 km/h vermag das schmale Windschild dem heranstürmenden Orkan dabei kaum noch Einhalt zu gebieten. Während ich mich gegen den Fahrtwind stemme, fällt mir plötzlich ein, dass Honda die Höchstgeschwindigkeit der Crossrunner mit 200 km/h angibt und dieser damit ganz 44 km/h hinter dem Topspeed der VFR liegt. Was mir bei der Datenblattlektüre am Schreibtisch noch beachtlich viel vorkam, verliert bei einer Reisegeschwindigkeit von knapp 180 km/h und einer Lufttemperatur von 8°C (in der Lederkombi) völlig an Bedeutung.

Vorgrarten Idylle

Hier gehört Sie hin: Die Crossrunner kann eher Kleinstadtidylle denn Adventure-Trip

Aber auch die eisigste Tour geht irgendwann zu Ende und so stehe ich doch auf einmal wieder in meiner Einfahrt. Inzwischen ist es komplett dunkel, ich ziehe mit steifen Fingern den Schlüssel aus dem Zündschloss und staune nochmals für einen kurzen Moment über den hervorragenden Scheinwerfer der Crossrunner.

Alles in allem leistet sich die Honda Crossrunner keine wirklich Schwächen. Die von Honda versprochene Kombination des Besten aus zwei Welten ist dieser Hybrid aus Naked- und Adventure-Bike dann aber auch nicht. Wer wirklich ein starkes Allroundmotorrad sucht und dabei keinen Wert auf extravagantes Design legt, dem sei eher die CBF 1000 aus gleichem Haus ans Herz gelegt.

 

 

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