Nach fast vier Jahren Abstinenz zog es mich Ende Januar wieder einmal auf eine Motorradmesse. Eigentlich gehören Messebesuche in den Wintermonaten ja zum Pflichtprogramm, doch da ich in den vergangenen Jahren aus beruflichen Gründen auf das Motorradfahren weitestgehend verzichten musste und sich meine masochistischen Tendenzen sehr in Grenzen halten, habe ich um Motorradausstellungen einen weiten Bogen gemacht. Glücklicherweise zeichnet sich für 2015 endlich Besserung ab und so war es natürlich an der Zeit, sich wieder auf den Stand der Dinge zu bringen.
Das Nonplusultra für den Wiedereinstieg wäre natürlich die Intermot in Köln gewesen, doch auch hier machten mir anderweitige Verpflichtungen einen Strich durch die Rechnung und so viel die Wahl auf die Motorradwelt Bodensee. Zwar handelt es sich bei der Veranstaltung in Friedrichshafen um einer Händlermesse und man musste damit rechnen, dass nicht alle Modelle jeder Marke vertreten sein würden. Bei neun Messehallen mit einer Gesamtfläche von 25.000 Quadratmetern und 280 Ausstellern bot die Messe aber genug Möglichkeiten, sich einen Überblick über die Neuheiten der kommenden Saison zu verschaffen. Und es hat sich einiges getan.
Die erste Überraschung erlebte ich aber nicht in der Messe, sondern bereits auf dem Weg dort hin. Schon Samstagvormittag staute sich der Verkehr auf den Zufahrtsstraßen und die Parkplätze rund um die Messe waren voll. Zwar lud das Wetter geradezu dazu ein, den Tag hier zu verbringen, doch mit so viel Andrang hätte ich nicht gerechnet. Da sah vor 4 Jahren an gleicher Stelle noch etwas anders aus.
Überraschung Nummer zwei folgte dann schon nach den ersten Metern in den Messehallen. Hatte ich hier die typische „Biker“-Klientel in Erinnerung, präsentiert sich mir in den meisten Hallen mit einem bunt gemischten Publikum ein anderes Bild. Von U16 bis Ü60 und von Ledernacken bis zum perfekten Schwiegersohn war alles dabei. Und auch die Frauenquote war überraschend hoch. Ich würde zwar nicht soweit gehen und das Publikum mit dem eines Samstagseinkaufs im Supermarkt vergleichen, aber hier tummelte sich eine gesunde Mischung aus der Mitte der Gesellschaft. Besonders schön war zu sehen, wie viele ganze junge Zweirad-Fans den Weg in die Hallen und an die Stände gefunden hatten. Aber genug der Statisten, es geht ja um Motorräder.
Kawasaki
Mein erster Weg führt mich zu Kawasaki. Auch hier bestätigte sich der Eindruck des gemischten Publikums und ein Blick auf die neuen Modelle erklärt auch schnell, was die wieder erstarkte Faszination am Motorrad auslöst. Hatte sich bei den Grünen im Supersport bzw. Superbikesegment für das Jahr 2015 nicht viel getan, waren es die neuen Modelle der Versys-Reihe und die beiden Varianten der H2, um die sich die Besucher scharten.
Die eine als eierlegende Wollmilchsau konzipiert und als Versys 650 zum Einstiegspreis von 7.695 € absolut in finanzieller Reichweite des Ein- beziehungsweise Wiedereinsteigers, die andere mit außergewöhnlicher Kompressortechnik und in der R-Ausführung mit 300 PS und einem Preis von 50.000 € Quell der Faszination. Zwar ist die H2R für die große Mehrheit unerreichbar und auch die straßenzugelassene H2 ist mit 25.000 € immer noch weit jenseits von Gut und Böse und wird einer sehr kleine Käuferschaft vorenthalten bleiben. Als Stoff zum Träumen und Publikumsmagnet funktionieren beide aber hervorragend. Völlig verständlich, dass das martialische Erscheinungsbild und die Verheißung auf 200 Kompressor-PS bei der H2 mehr reizen als 69 PS und ABS serienmäßig in der kleinen Versys. Aber schon beim ersten Probesitzen wir die Begeisterung bei den meisten sicher ein wenig schwinden. Hier ist es vor allem das eben noch so faszinierende Design, das Sitz- und später das Fahrvergnügen etwas schmälern könnte. Beim Erstkontakt erwies sich der breite Tank und dessen ausladende Kante als eher unangenehm, da diese beim „Trockenschalten“ die Bewegungsfreiheit einschränkte. Ich bin zwar mit 1,82 m wirklich kein Riese, empfand das als störend. Für größere Zeitgenossen könnte das aber auf Dauer schon zu einem echten Problem werden.
Kleineren Piloten könnte der große Abstand zwischen Sitz und Lenkerenden negativ auffallen, denn die H2 spannt den Fahrer weit über den großen Tank und auch das auf den Handgelenken ruhende Gewicht ist nicht zu verachten. Dann lieber doch die bequeme Versys 1000 für weniger als die Hälfte und mit entspannten 120 PS? Das Interesse an ihr war auf jeden Fall fast so groß wie das an der H2. Mit der ZX-10R hat Kawasaki zwar auch ein 200 PS Superbike im Angebot, da sich hier außer der Sonderlackierung für 2015 nichts geändert hat, fand die 10er kaum Beachtung.
Ducati
Dass man in der Preisklasse der H2 auch ein Motorrad mit über 200 PS und einer überraschend komfortablen Sitzposition kaufen kann, zeigt Ducati mit der überarbeiteten Panigale. Wobei „komfortabel“ hier natürlich sehr relativ ist, denn für eine relaxten Wochenendausflug ist Ducatis Speerspitze sicher nicht geeignet. Aber sie platzierten den Reiter angenehm hoch über dem Motorrad und nah am Lenker, der Kniewinkel ist nicht zu eng und das Gewicht auf den Handgelenken nicht zu hoch. So stelle ich mir eine fahraktive Sitzposition vor.
Aber auch bei Ducati galt das Hauptinteresse der Besucher nicht der atlethischen Sportskanone, obwohl sich hier sowohl technisch (jetzt 1285 ccm Hubraum und 205 PS) als auch optisch (größere Lufteinlässe und neu designtes Heck) einiges getan hat.
Eine der am meisten gehypten Neuheiten 2015 ist nämlich Ducatis Neuankömmling – die (oder der?) Scrambler. Kein Magazin, kein Blog kommt derzeit an der neuen Einsteiger-Ducati vorbei. Wobei Einsteiger hier gleich doppelt gilt. Denn sie ist mit ihrem 803 Kubikzentimeter-Motor und den 75 PS nicht nur auf Motorradneulinge und Wiedereinsteiger zugeschnitten, sondern mit einem Preis ab 8.390 € auch die günstigste Ducati im Programm. Ersteindruck im Sattel der Icon: Fühlt sich irgendwie an wie ein Bonanzarad.
Doch nur bei einem neuen Motorrad sollte es nicht bleiben. Ducati verkauft die Scrambler nicht nur als Einsteigermotorrad sondern als Lifestyleprodukt, allumfassendes Merchandise-Paket inklusive. Passend dazu rüstete Ducati den angereisten Händler mit einer Art „Hipster-Box“ – einem Catepillar-gelben Übersee-Container – aus. Hier konnte man nicht nur die Scrambler Icon probesitzen, sondern auch die zugehörigen Accessoires bewundern.
Denn neben Zubehör für die vier verschiedenen Scramber-Varianten Icon, Urban Enduro, Classic und Full Throttle bietet Ducati eine komplette Bekleidungslinie gleich mit dazu. So kann beim Auftritt vor der Sojamilch-Bar nichts schiefgehen. Nur Aufklebe-Tattoos und das passende Gesichtshaartoupet hat die Marketingabteilung vergessen. Der Hipsteranteil am Ducati-Stand hielt sich aber auch in Grenzen und es war viel mehr die Ducati-Standardklientel, die sich hier versammelt hatte. Alle nicht mehr ganz so jung und nicht mehr ganz so hip. Aber die Marketingmaschine läuft ja gerade erst an.
KTM
Ganz anders sah das bei den Orangenen aus Mattighofen aus. Hier gab es nicht nur Tattoos und echte Bärte, sondern vor allem auch viel junges Gemüse, was den Altersdurchschnitt auf gefühlten 25 Jahre drückte. Kein Wunder, arbeite KTM ja schon seit vielen Jahren am jungen und dynamischen Image und spricht mit der „Ready to Race“ Philosophie vor allem auch die jungen Wilden an. Erst im Offroad-Bereich und seit einiger Zeit nun auch im Straßensport. Bemerkenswert ist hier vor allem, dass Sie dieses Image auch schon bei den ganz Jungen etablieren konnten. Das liegt sicher nicht zuletzt an der umfangreichen Modellpalette bis hinunter zu den 125er und den zugehörigen, hochwertigen „Tuningteilen“ aus der eigenen Zubehörserie. Da kommt es nicht von ungefähr, dass die KTM 125 Duke mit über 2700 Einheiten das beliebteste Leitkraftrad im Jahr 2014 war.
Und KTM bleibt in den kleinen Klassen straßensportlich. Nachdem 2014 neben der 125er Duke mit der RC 125 auch ein Mopped im Renndesign an den Start geschoben wurde, erweitert KTM mit der RC 390 nun auch das Angebot in der Klasse bis 48 PS. Optisch der 125er sehr ähnlich, bietet sie für 1.000 Euro mehr (5.595 € statt 4.595 bei der RC 125) und bei fast identischer Ausstattung einen 44 PS starken Einzylindermotor. Bei einem Trockengewicht von 147 Kilogramm auf jeden Fall ein gelungener Einstiegssportler.
Yamaha
Den bringt mit der R3 dieses Jahr auch Yamaha. Doch leider waren weder der Bonsai-Renner, noch die heiß ersehnte neue R1 in Friedrichshafen zu begutachten. Stattdessen stand die für 2015 überarbeitete und erweiterte MT-Modelle im Mittelpunkt. Die MT-07 und MT-09 zählten – nach der GS von BMW und der Kawasaki ER-6n/f – zu den Bestsellern des Jahres 2014. Da es ist kein Wunder, dass auch Yamaha das Angebot im Mittelklasse-Markt ausbaut. Und auch hier heißt das Mittel der Wahl Diversifizierung der bestehenden Modellreihe. Zur Standard MT-09 gesellen sich so die Modellvarianten Tracer, Street Rallye und Sport Tracker und die MT-07 wird durch Moto Cage ergänzt. Und natürlich bietet Yamaha mit der MT-125 einen Ableger im Leichtkraftradsegment. Auch hier beeindruckend: Der umfangreiche Zubehörkatalog bis zu den kleinsten Modellen.
Suzuki
Die zweiten Blauen im Bunde der japanischen Hersteller bekannten mit besagtem Blaue vor allem eines: Farbe. Fast die gesamte Modellpalette erstrahlt jetzt im babyblauen Design des wiederbelebten MotoGP-Projektes. Leider ist das auch die einzige sportliche Neuerung. Doch halt, da sind ja noch die neuen GSX-S 1000 Modelle. Das nackte Power-Bike GSX-S 1000 und der vollverkleidete Sporttourer GSX-S 1000 F werden vom aus der GSX-R K5 stammenden 999 cm3 Aggregat befeuert und sollen 145 PS leisten. So weit, so gut. Die Front der F-Variante ist aber eher gewöhnungsbedüftig.
Optisch gelungen ist dagegen das Outfit-Update der Gladius (siehe Galerie). Die Kombination aus edlem Schwarz und sportlich rotem Rahmen ist zwar nicht neu, steht aber augenscheinlich auch nicht-intalienischen Motorrädern.
BMW
Fehlt noch ein Wort zu den Bajuwaren. Die unangefochtenen Herrscher auf dem deutschen Motorradmarkt haben 2014 mit der GS nicht nur wieder mit Abstand die Spitze der Verkaufs-Charts angeführt, sondern schicken sich mit dem Update der S 1000 RR auch erneut an, für ein paar weitere Jahre die Vorherrschaft bei den Superbikes für sich zu beanspruchen. Die ersten Vergleichstests stehen zwar noch aus, doch glaubt man der arrivierten Presse, werden es auch dieses Mal die Neuankömmlinge von Yamaha und Ducati schwer haben, das blauweiße Über-Bike vom Thron zu stoßen. Apropos Ducati: Wie bei den Roten fand sich auch am Stand der Bayern hauptsächlich die BMW-typische Kundschaft. Trotz der neuen Modelle also noch (fast) alles beim Alten.
An sportlichen Marken gab es leider nicht viel mehr zu sehen, dennoch wurde auf der Messe deutlich: Es steht uns ein tolles Motorradjahr ins Haus. Auch neben den großen Aushängeschildern in der Superbike-Klasse ist viel Bewegung im Markt und die hat eine eindeutige Richtung: hin zum normalen Kunden. Erschwingliche Mittelklassemotorräder mit toller Ausstattung und umfangreichen Sicherheitspakten sorgen dafür, dass das Interesse an Motorrädern boomt wie lange nicht. So kann es gern weitergehen.
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