Wenn ich an Großbritannien denke, denke ich automatisch an Traditionen. Ich denke an den 5 Uhr Tee, Tweed Sakkos, Fish and Chips, an Pubs und ich denke natürlich an die Queen. Eigentlich alles sehr sympathisch, aber auf den ersten Blick auch ganz schön angestaubt. Bei genauerer Betrachtung fällt der Eindruck jedoch nicht mehr ganz so konservativ aus. Das typisch englische Sakko ist zwar immer noch aus Tweed, inzwischen aber oft Slim Fit geschnitten, die traditionelle Speerstunde der Pubs gibt es seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr und die Queen kann schon eine halbe Ewigkeit keine Kriege mehr anzetteln oder die englische Flotte losschicken, um Länder zu erobern. Eine Anpassung hier und da hilft also dabei, Traditionen am Leben zu erhalten und erfolgreich an die nächste Generation zu übertragen. Das müssen sich auch die Manager bei Triumph gedacht haben, als sie die Köpfe zusammensteckten, um die Pläne für die neue Speed Triple zu schmieden.
Doch so einfach der Weg der Erneuerung von außen manchmal scheint, so schwierig wird er, wenn man ihn behutsam gehen muss und dabei auch noch das Traditionelle erhalten will. Genau dieser Herausforderung mussten sich die Mannen aus Hinckley stellen.
1994 erschienen, hat die Speed Triple das Genre der sportliche Naked Bikes mitbegründet und ist seit der Einführung des Modells T509 mit dem markanten Doppelscheinwerfer, der Einarmschwinge und dem geschwungenen Rahmendesign im Jahr 1997 fast eine Art Stil-Ikone. 2005 folgte mit der Einführung der hochgezogenen Auspuffanlage mit dem Doppel-Endtopf am Heck die letzte wirklich grundlegende Änderung. Danach wurde das Flaggschiff der Briten kontinuierlich überarbeitet, entwicklungstechnische Quantensprünge blieben aber aus. Dank dieser sanften Evolution war die letzte Speed Triple aus dem Jahr 2018 vor allem in der RS-Version zwar eine feine Fahrmaschine, mit der Konkurrenz aus Deutschland, Österreich und vor allem Italien konnte die Speedy aber nicht mehr mithalten. Zu pummelig, zu schwachbrüstig, zu wenig polarisierend.
Revolution statt Evolution
Als dann Anfang des Jahres die ersten Bilder und Informationen zur kommenden Speed Triple veröffentlicht wurden, war schnell klar: die Neue bringt die lang erwartete Revolution. Und ein kleiner Hinweis ließ ganz aufmerksame Zeitgenossen bereits damals ahnen, dass Triumph mit der 2021er Speed Triple nicht nur ein von Grund auf überarbeitetes Motorrad vorstellen, sondern mit dem neuen Modell auch die Grundausrichtung deutlich in Richtung „Sport“ verschieben würde. Denn die bis dato neben der Speed Triple RS bestehenden Varianten S und R wurden für die neue Generation nicht mehr mit vorgestellt. Doch diese Erkenntnis ging in Anbetracht der Vielzahl an optischen und technischen Neuerungen fast unter.
Mit Doppelscheinwerfer, Einarmschwinge und dem typischen Rahmendesign ist das 2021er Modell zwar immer noch unverkennbar eine Speed Triple, aber egal, aus welcher Perspektive man sie begutachtet – schon optisch ist die Speedy ein völlig neues Motorrad und wirkt jetzt deutlich schlanker und kompakter. Das liegt vor allem an der neugestalteten Heckpartie. Während die Vorgängerin mit den zwei großen Endtöpfern achtern noch recht ausladende Formen hatte, ist die 2021er Speedy mit dem klassisch an der Seite montierten Endschalldämpfer, der filigran wirkenden Heckrahmenkonstruktion und der schlanken und sehr sportlich geschnittenen Soziuspartie hier jetzt voll auf der Höhe der Zeit. Diese Formensprache setzt sich über den neu gezeichneten 15,5 Liter fassenden Tank fort und endet an der neuen Scheinwerfereinheit. Obwohl diese von der aktuellen Street Triple inspiriert wurde, hat das neue Flaggschiff ein absolut eigenständiges Gesicht, welches den nun deutlich sportlicheren und dynamischeren Gesamtauftritt der Speed Triple perfekt abrundet.
Triple auf Speed
Ist in Sachen Design schon alles neu, fand die eigentliche Revolution aber im Verborgenen statt. Egal, ob Motor, Chassis oder Elektronik, in Sachen Technik blieb sprichwörtlich kein Stein auf dem anderen. Die auf dem Papier spektakulärsten Neuerungen hat dabei der Motor zu bieten, der mit 1160 Kubikzentimeter gegenüber dem Vorgängermodell nicht nur gut zehn Prozent mehr Hubraum hat, sondern jetzt auch deutlich höher dreht und bei 10.750 Umdrehungen 180 PS leisten soll. Das sind satte 30 PS mehr als beim alten 1050er Aggregat. Aber auch in Punkto Drehmoment hat die neue zugelegt und die Kurve gipfelt jetzt mit satten 125 Newtonmetern bei 9.000 Umdrehungen. Besonders beeindruckend: trotz größerem Hubraum und zusätzlicher Leistung hat Triumph allein rund um den Motor stolze sieben Kilogramm abgespeckt.
Aber nicht nur der Motor hat Pfunde verloren. Auch das komplett überarbeitete Chassis ist jetzt 17 Prozent leichter, die Anti-Hopping-Kupplung wurde unter anderem zur Gewichtsoptimierung weiterentwickelt und das Getriebe konnte dank nun übereinanderliegender Getriebewellen kompakter gestaltet werden – Stichwort Massenzentralisierung. Last but not least haben die Insulaner auch bei der Batterie den Rotstift angesetzt und konnten das Gesamtgewicht dank einer Lithium-Ionen-Batterie um weitere 2,3 Kilogramm drücken. In Summe konnten so beachtliche 10 Kilogramm gespart werden und das neue Modell ist laut Triumph nicht nur die stärkste Speedy aller Zeiten, sondern mit 198 Kilogramm fahrfertig auch die mit Abstand leichteste.
Mehr Leistung, weniger Gewicht, zentralisierte Massen – das klingt alles sehr nach Sport. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass das Basislager für die Deutschlandpräsentation der Speed Triple im Fahrerlager der Rennstrecke von Oschersleben aufgeschlagen wurde. Der knapp 3,7 Kilometer lange Kurs ist nicht nur eine der beliebtesten Rennstrecken Deutschlands, er bietet mit seiner Nähe zum Harz auch die Möglichkeit, Motorräder an einem Tag auf der Rennstrecke und der Landstraße zu testen und sich ein umfassendes Bild zu verschaffen. Zuerst stand aber im Kreis fahren auf dem Programm. Schon bei der ersten Begutachtung der Testmotorräder wurde klar, dass die Speedys nicht nur zur entspannten Bummelrunde an den Ring gebracht wurden. Ist die Speed Triple RS ab Werk schon mit hypersportlichen Racetec RR in der straßenzugelassenen K3 Mischung bestückt, standen die Ringeisen sogar auf Pirelli Supercorsa SC in der SC2 Mischung. Die italienischen Racing-Pellen gleichen mit ihrem Blitzprofil optisch zwar dem straßenzugelassenen Supercorsa SP, stehen aber mit dem Superbike Slick in einer Linie und sind damit feinstes Rennsport-Material. Tatsächlich bieten die Briten den SC 2 sogar als offizielle Bereifungsalternative für die Speed Triple an. Man nimmt die Sache mit dem Sport wohl wirklich ernst.
Bevor auf der Rennstrecke richtig ernstgemacht werden konnte, musste die vollgasaffine Journaille aber erst einmal die Reifen auf Temperatur bringen, denn Reifenwärmer hatte die Crew von Triumph nicht im Gepäck. Positiver Nebeneffekt: bevor die Sinne des Fahrers durch zu viel Adrenalin völlig vernebelt wurden, gab es so zwei etwas ruhigere Runden, in denen man sich nicht zu 100 Prozent auf Linienwahl und Bremspunkte konzentrieren musste, sondern seine Sinne voll und ganz auf das Motorrad unter einem fokussieren konnte.
RS – wie Rennstrecke und Straße
Schon die ersten Eindrücke waren mehr als positiv. War bereits wenige Augenblicke nach dem Aufsitzen klar, dass Triumph bei der neuen Speed Triple in Sachen Ergonomie alles richtig gemacht hatte, verfestigte sich dieses Gefühl mit jedem Meter. Die Sitzposition ist mit 830 Millimeter sportlich, aber nicht zu hoch und die Triumph platziert ihre Piloten in Kombination mit dem nun 13 Millimeter breiteren Lenker sehr fahraktiv, ohne anstrengend oder unbequem zu sein. Das klingt im ersten Moment zwar nicht wirklich nach Rennstrecke, funktioniert aber auf dem Rundkurs in Oschersleben ausgesprochen gut. Auch die Fußrasten tragen ihren Teil zur entspannten und gleichermaßen fahraktiven Sitzposition bei. Laut Triumph erlauben die Rasten im Vergleich zur Vorgängerin jetzt sogar mehr sportliche Ambitionen, da die gesamte Anlage für mehr Schräglagenfreiheit weiter nach innen gesetzt wurde.
Dank sommerlicher Temperaturen zog das Tempo auf der Strecke dann rasch an, die Entspannung ging dabei aber erstaunlicherweise nicht verloren. Im Gegenteil. War auch die alte Speed Triple RS dank ihrer Ausgewogenheit und der tollen Komponenten ein extrem gut zu fahrendes Motorrad, so legt die neuer 1200er gleich mehrere Schippen nach und gibt der Person im Sattel auch beim engagierten Ritt zu jeder Sekunde ein souveränes Gefühl. Das fängt schon beim Gasanlegen und in der Beschleunigungsphase an. Die neue Speedy hat auf dem Papier jetzt zwar zehn Kilogramm weniger und ganze 20 Prozent mehr Spitzenleistung, die 180 PS werden bis in den roten Bereich aber so gleichmäßig serviert, dass man in den ersten Runden häufig erst durch den Begrenzer zum Schalten ermahnt werden muss, weil man denkt, man könnte schier endlos weiterbeschleunigen. Dabei rettet die Elektronik den Motor bei der neuen erst 650 Umdrehungen später und bei 11.150 Umdrehungen vor allzu forschen Zeitgenossen.
Und auch sonst macht die Elektronik einen tollen Job. Insgesamt verfügt die Speedy über die vier vorkonfigurierten Fahrmodi „Rain“, „Road“, „Sport“ und „Track“ sowie den individualisierbaren Modus „Rider“. Für den Einsatz in Oschersleben hatten die Mannen von Triumph natürlich den Track-Modus gewählt, der für das 2021er Modell überarbeitet wurde und ambitionierte Fahrer auf dem Weg zu schnellen Rundenzeiten kaum wahrnehmbar unterstützen soll. Bei der Vorstellung in Oschersleben wurde zwar nicht mit dem Messer zwischen den Zähnen auf der letzten Rille um Platzierungen gekämpft, dank guter Streckenkenntnis und rennsporterprobter Instruktoren war das Tempo aber sehr zügig, was die Regelsysteme weder in der Beschleunigungs- noch in der Bremsphase in Verlegenheit bringen konnte. Selbst beim beherzten Dreh am Gasgriff am Kurvenausgang bis hin zum leicht steigenden Vorderrad gibt die Triumph ihre Leistung extrem linear ab und kennt nur eine Richtung: nach vorne. Dabei hat das Motorrad – sicher auch unterstützt durch die klebrigen Pirelli Semi-Slicks – so viel mechanischen Grip, dass die Position des Lämpchens für die Traktionskontrolle auch nach 3 Turns nicht sicher bestimmt werden konnte.
Und auch auf der Bremse wissen die Assistenzsysteme zu überzeugen. Zum einen kann man bei der Neuen die Gangstufen jetzt auch kupplungsfrei nach unten blippern, zum anderen regelt das neue, 6-Achsen-IMU-basierte Kurven-ABS von Continental so spät, dass es auch bei Rennstrecken-würdigen Bremsmanövern nicht aktiv wurde. Hier hilft sicher auch das neue, gekoppelte Bremssystem. Zieht man bei der Triumph am Hebel und aktiviert die mächtige Kombination aus den 320 mm messenden Bremsscheiben und den Brembo Stylema Monoblock Radialsätteln, bremst die Speedy automatisch auch am Hinterrad mit.
Wirklich beeindruckend wird die Fahrt auf der Speedy aber, wenn man den Richtungswechsel einleitet. Selbst während man die Bremse noch gezogen hat, verlässt die 2021er RS bereitwillig die Mittellage, um dann mit Leichtigkeit in Schräglage zu fallen und absolut neutral Ihre Bahn zu ziehen. Hier macht sich das deutlich geringere Gewicht positiv bemerkbar. Muss doch mal der Radius nachkorrigiert werden, gelingt auch das auf der Triumph spielerisch. Wie gut die Neue in Sachen Handling jetzt funktioniert, zeigte sich in Oschersleben im sogenannten Shell Esses. In dieser schnellen Rechts-Links-Kombination muss man vor allem auf großen Motorrädern gern mal kurz die Vorderradbremse antippen, um die Radlast etwas Richtung Front zu verlagern und so das Umlegen von rechts auf links zu erleichtern. Auf der Speed Triple war das während der Präsentation kein Thema und der Zeigefinger blieb hier immer um den Gasgriff gekrümmt.
Auf der Landstraße spielt Bremsunterstützung für schnelle Schräglagenwechsel keine Rolle, hier zählen andere Qualitäten. Doch obwohl die Speed Triple mit der deutlich angewachsenen Motorleistung, der mächtigen Bremsanlage und den edlen Fahrwerkskomponenten von Öhlins – an der Front übernimmt eine NIX 30 Gabel die Dämpfungsarbeit, am Heck werkelt ein neu abgestimmtes TTX 36 Federbein – für den Alltag jetzt fast überdimensioniert wirkt, macht sie auch auf der Landstraße einen tollen Job. Auch hier kann sie vor allem wieder mit der Ergonomie und dem leichtfüßigen Handling punkten, die in Kombinationen nicht nur problemlos lange Touren erlauben, sondern im Kurvengeschlängel auch enormen Spaß garantieren. Dabei ist es fast egal, ob man auf der perfekt asphaltierten Bundesstraße oder einer eher mitgenommenen Nebenstraße unterwegs ist. Die fein ansprechenden Öhlins-Elemente machen hier wie da einen formidablen Job. Sensible Zeitgenossen mögen sich die Speed Triple eventuell etwas komfortabler wünschen, für den auf der Straße recht straffen Gesamteindruck zeichnen sich in Teilen aber wahrscheinlich der Hypersport-Reifen Racetec RR und die recht straffe Sitzbank verantwortlich.
Grundsätzlich kommen die Themen Komfort und Alltagstauglichkeit bei der neuen Speedy aber alles andere als zu kurz. Wie schon die Vorgängerin verfügt auch die 2021er RS Keyless-Go, für die zweite Generation haben die Briten die Funktion aber weitergedacht, denn ab sofort lassen sich auch der Tank und das Staufach unter dem Sozius ohne Schlüssel öffnen und schließen. Ebenfalls komfortabel und besonders für Langstrecken-Piloten und Alltagsfahrer hilfreich ist der serienmäßig vorhandene Tempomat.
Wer jetzt denkt, die Triumph hat durch die neuen Spielereien und das umfangreichere Elektronikpaket an Charakter eingebüßt, der täuscht sich. Trotz der Neuausrichtung und der zusätzlichen Funktionen fühlt sich Motorradfahren auf der aktuellen Speed Triple noch immer nach Motorradspaß in Reinkultur an und auch das 2021er Modell trägt das Erbe der vorangegangenen Generationen in sich.
Die Königin ist tot, lang lebe die Königin!
Nach einem intensiven Tag auf Landstraße und Rennstrecke ist klar: Triumph ist der heikle Spagat zwischen Tradition und Moderne geglückt. Die 1200er Speed Triple wurde von Grund auf überarbeitet und ist ein völlig neues Motorrad geworden. Egal, ob Leistung, Elektronik oder Ausstattung – die Neue rückt in jeglicher Hinsicht ein großes Stück näher an die Konkurrenz heran, bewahrt sich dabei aber den ureigenen Speed Triple Charme und bleibt so das charakterstarke Motorrad, dass die Speedy seit dem ersten Modell mit Doppelscheinwerfer gewesen ist. Well done, Triumph!
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