Mittelklasse – das hört sich ein bisschen an wie zweite Liga. Für diejenigen, die mit Fußball so überhaupt nichts anfangen können, drängt sich hier auch der Vergleich mit der Siegerurkunde auf, damals, bei den Bundesjugendspiel. Irgendwie nicht schlecht, aber auch alles andere als richtig gut. Fast schlimmer ist aber noch, dass man in der Mittelklasse einer von vielen, nur ein Gesicht in der Menge ist. Man sieht sprichwörtlich an jeder Ecke. Wer auf einem vollen Supermarktparkplatz mal einen dunklen Audi A4 Kombi gesucht hat, weiß, wovon ich spreche. Etwas anders verhält es sich zum Glück beim Thema Motorrad. Wie bei den Autos zeichnet sich die Mittellasse zwar auch hier durch Vielseitigkeit aus, ist dabei aber schon von Haus aus alles andere als langweilig. Ganz im Gegenteil. Hier gibt es sogar echte Charakterköpfe.
Eine besonders eigenwillige Vertreterin ist seit Ihrer Einführung im Jahr 2007 die Triumph Street Triple. Schon die erste Generation hob sich dank des Dreizylindermotors mit 675 Kubik, aber vor allem mit den runden Doppelscheinwerfern optisch und akustisch deutlich von der breiten Maße ab. Während sich bei der Streety in Bezug auf Design und Klang von Beginn an die Geister schieden, sind Ihre Qualitäten beim Fahrverhalten unbestritten. Der Drilling hatte in allen Ausbaustufen ordentlich Schmackes, die Sitzposition ist seit jeher fahraktiv und auch in Sachen Handling wussten alle Modelle zu überzeugen. Nach der grundlegenden Überarbeitung im Jahr 2017, aus der die Street Triple mit einem dicken Hubraumplus hervorging, legten sich die Ingenieure und Designer fürs Modell 2020 erneut ins Zeug und überarbeitete die Königin der Mittelkasse weitreichend.
Der Staub muss ab
Zugegeben, mich hat die Triumph schon immer mehr mit den inneren Werten überzeugt. Während man gut und gerne behaupten kann, dass das Design der Street Triple die Motorradwelt ab dem ersten Modell in zwei Lager spaltete und man die Glubschaugen entweder mag oder hasst, fand ich die Frontpartie über alle Generationen weder richtig schön, noch wirklich schlecht. Das mag auch daran liegen, dass alles hinter dem Lenkkopf immer mit einer sehr gelungen Formensprache zu überzeugen wusste. So ging es mir auch mit dem 2017er Modell, das ich nach einiger Eingewöhnungszeit und trotz der noch recht ausladenden Scheinwerfer ganz schick fand. Wie altbacken das Design der Scheinwerfer inzwischen aber doch war, wird einem beim ersten Blick auf die neuen Voll-LED-Einheit bewusst. Die nun deutlich schlankere Form lässt die Street Triple sportlicher wirken, die LED-Tagfahrleuchten im Augenbrauen Design lassen die 2020er Street herrlich angriffslustig dreinblicken und verleihen der Street Triple einen ganz anderen, deutlich aggressiveren Charakter. Das Erstaunliche daran: alle weiteren Designanpassungen fallen erst auf den zweiten oder gar dritten Blick auf. Zwar wurden die knappe Seitenverkleidung, die Kühlerblenden, die Bugverkleidung und auch die der RS-Version vorbehaltenen Lenkerendenspiegel neu gestaltet, die Anpassungen fallen aber so sanft aus, dass man eigentlich die Vorgängerin zum direkten Vergleich braucht, um alle Änderungen zu entdecken. Einfacher verhält sich die Sache bei Sitzbank und Auspuffanlage. Während das Heck durch Öffnungen im Bereich des Soziussitzes nun noch schlanker wirkt, kommt die RS ab 2020 exklusiv mit einem eigenständig designten Endtopf mit Carbonabdeckung. Ebenfalls ein kleines Detail, welches aber enorm zu stimmigen Gesamteindruck beiträgt, ist die Lackierung der Metallteile. Die Kühlerblenden und die Halterungen der Fahrer- und Soziusfußrasten sind seit diesem Jahr mattschwarz lackiert, passen nun perfekt zu Motor und Schwinge und sorgen so für eine noch wertigere, fast edle Erscheinung.
Die goldene Mitte
Auch die technischen Änderungen fallen jede für sich betrachtet eher sanft aus, in der Summe der Teile verhelfen Sie der Triumph ab zu spürbaren Verbesserungen. Dabei gehen die Anpassungen laut Triumph schon auf Erfahrungen aus der Rennabteilung zurück. Zur Erinnerung: seit der Saison 2019 kommt der 765er Drilling als Einheitsmotor in der Moto2 WM zum Einsatz. Und den Rennsporteinfluss der Triumph Ingenieure erkennt man beim ersten Blick auf die Aufzählung der Überarbeitungen, die man auch als To-Do-Liste fürs gekonnte Feintuning verstehen kann. Oberstes Ziel waren die Verbesserung des ohnehin schon sehr guten Ansprechverhaltens sowie eine Erhöhung der Leistung im mittleren Drehzahlbereich.
Hierfür wurden für das 2020er Modell Kurbelwelle, Kupplung und Ausgleichswelle präziser gearbeitet, um die rotierenden Massen und die daraus resultierenden Trägheitsmomente zu reduzieren. Bei der auslassseitigen Nockenwelle setzte man sogar auf eine komplette Neuentwicklung. In Kombination mit den laut Triumph schneller ansprechenden, dem umgestalteten Ansaugkanal und dem seit diesem Jahr zum Einsatz kommenden Krümmer mit Interferenzrohr soll die RS Variante nun nicht nur mit einem deutlich verbesserten Ansprechverhalten glänzen, sondern im auf der Landstraße besonders wichtigen mittleren Drehzahlbereich auch bis zu neuen Prozent mehr Drehmoment haben. Bei so viel froher Botschaft wird es allerhöchste Zeit, das Datenblatt zur Seite zu legen und die Lenkerenden in die Hand zu nehmen.
Herz, was willst Du mehr
Egal, ob in den S, der R oder der RS Variante der Street Triple, schon beim Platznehmen stellt man immer wieder erfreut fest, wie ausgereift die Motorräder Street Triple Modellpalette inzwischen sind. Kaum ein anderes Landstraßenmotorrad platziert seinen Fahrer so entspannt und gleichzeitig fahraktiv wieder Spaßgaranten aus Hinckley. Das trifft auch auf das 2020er Update der Street Triple zu. Zwar verfügt das neue Modell über eine geänderte Lenkerklemmung sowie einen etwas höheren Soziussitz für mehr Komfort für die Tourbegleitung, fahrerseitig hat sich in Sachen Sitzposition aber nichts geändert.
Dafür überrascht die Streety ihren Piloten aber spätestens beim Einschalten der Zündung. Die Grundform der Schaltzentrale blieb zwar unverändert, nach dem dunklen Startbildschirm und einer freundlichen „Guten Morgen“ zur Begrüßung erstrahlt die Anzeige aber in einem völlig neuen, etwas unterkühlten Design. Vorbei die Zeiten von farbigen und vor allem sehr gut ablesbaren Designvarianten. Ein kurzes Springen durch die Einstellungsoptionen offenbart zwar, dass die Menüführung unverändert einfach zu bedienen ist. Eine wirklich zufriedenstellende Anzeigevariante findet sich aber nicht. Egal, Knöpfchen drücken und los.
Für gehobene Ansprüche
Schon beim Griff zu Kupplung hellt sich Miene aber sofort wieder auf, denn hier ist der Hebel nicht nur einstellbar, das System lässt sich auch sehr leichtgängig bedienen. Die Anti-Hopping-Kupplung gab es zwar so schon in der Vorgängerin, dafür wurden dem angrenzenden Getriebe aber für noch einfacheres Schalten leichtere Zahnräder spendiert.
Das Highlight ist aber zweifelsohne der 765 Kubikzentimeter große Triple. War das Aggregat in der Vorgängerin schon ein echter Freudenspender, legt die neue noch mal ein Schippe nach. Egal, ob bei niedrigen Drehzahlen im Stadtverkehr oder bei der zügigen Hatz über Land, die Kombination aus elektronischem Gasgriff und optimierten Triebwerk glänzt immer mit piekfeinem Ansprechverhalten und der Drilling zieht mit einer Drehfreude durchs Drehzahlband, dass man mit dem Schalten kaum hinterherkommt. Zum Glück verfügt das RS-Modell seit diesem Jahr über einen Blipper, der nun sogar serienmäßig an Bord ist. Dabei zeigte sich der Motor auch in fast allen Lebenslagen als extrem laufruhig. Einzig bei konstanter Autobahnfahrt fielen zwischen 140 und 160 km/h spürbare, aber nicht nervige Vibrationen auf.
Nominell leistet das Aggregat der Streety zwar nur 123 PS und liegt damit genau auf dem Niveau der Vorgängerin, durch die Kombination aus extrem quirligem Motor, Schaltassistent und spürbar erstarkter Drehzahlmitte bewegt man sich trotzdem viel häufiger im Bereich von Andi Scheuers Abschussliste, als einem lieb ist. Es sind aber mehr als die Drehfreude und die 79 Newtonmeter maximales Drehmoment, die das RS-Modell zum Landstraßen-Wirbelwind machen.
Wie schon bei der Vorgängerin stellt auch die Peripherie des 2020er Modells selbst gehobene Ansprüche zufrieden. Das Duo aus mächtigen Brembo M50 Sätteln und 19 Zoll Handbremspumpe ist ein mehr als adäquates Gegengewicht zur Motorleistung und fangen das 187-Kilo-Leichtgewicht in wirklich jeder Situation souverän wieder ein. Auch Dosierbarkeit und Ansprechverhalten sind hier über jeden Zweifel erhaben. Einziges Manko für Puristen: ließen sich bis zum Modelljahr 2019 noch alle Assistenzsysteme inklusive ABS abschalten, erlaubt die Neue beim Thema Bremse keine Kompromisse mehr.
Auch das Fahrwerk zeigt sich in jeder Lebenslage unbeeindruckt. Wird die Gangart nicht zu wild, filtern die Showa Big Piston Gabel und das Öhlins STX 40 Federbein auch auf pockennarbigem Geläuf Unebenheiten sauber weg. Für komfortverliebte Zeitgenossen könnte die RS-Ausführung der Street Triple aber dennoch zu straff ausgelegt sein. Hier trägt sicher auch die supersportlichen Bereifung vom Typ Pirelli Supercorsa SP ihren Anteil dazu bei.
Die wahre Paradedisziplin für Motorrad und Fahrwerk ist aber die sportliche Gangart. Bewegt man sich auf Asphalt der Kategorie „Babypopo“ und gibt als Pilot richtig Zunder, kennt die Street Triple außer der StVO keine Grenzen. Besonders im Winkelwerk gut ausgebauter Nebenstraßen begeistert sie nicht nur mit Motor und Fahrwerk, sondern vor allem durch ihr spielerisches Handling. Hier zirkelt man die Street Triple mit Leichtigkeit von Radius zu Radius und ist dabei nicht selten überrascht, wie einfach das Motorrad auch in tiefste Schräglagen abwinkelt.
Wer das ganze Potential des Gesamtpakets erfahren will, kann das selbst im Straßentrim problemlos auf der Rennstrecke tun und wird noch mal mehr von der Vielseitigkeit des Modells begeistert sein. Beim Thema Spitzenleistung kann die Street Triple mit den aktuellen Superbikes zwar nicht mithalten, das überragende Gesamtpaket sorgt aber nicht nur für ebenbürtige Rundenzeiten, sondern mit Sicherheit auch für den größeren Fahrspaß!
Fazit
Wie in der zweiten Liga oder bei den Bundesjugendspielen ist der Weg in die Oberklasse oft nicht weit. Ein bisschen mehr Leistung hier, ein paar Gramm weniger da, und schon ist man nicht mehr Durchschnitt, sondern steht ganz oben auf dem Treppchen. So macht es auch die Triumph Street Triple seit Ihrer Einführung im Jahr 2007.
Vierzehn Jahre, vier Modellvarianten und ein Hubraum-Upgrade später sticht die Street Triple nicht nur noch deutlicher aus der Maße heraus, sondern zählt in der RS-Version mit den edlen Komponenten und dem ausgereiften Gesamtkonzept in puncto Ausstattung und Fahrbarkeit schon fast zur Oberklasse. Die macht sich aber auch im Preis bemerkbar. Mit 12.300 Euro ist sie gut und gerne zehn Prozent teurer als die meisten anderen Motorräder ihrer Klasse. Wem das zu viel ist, für den hat Triumph mit der R- und S-Modellvariante aber noch zwei günstigeren Optionen im Angebot.
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