Solovorstellung

Das Leben ist kein Wunschkonzert. Die meisten von uns haben diese Weisheit schon als Kind von Oma und Opa gelernt und man bekommt sie auch heute noch bei jeder noch so unpassenden Gelegenheit um die Ohren gehauen. Mal wieder den Urlaub nicht bewilligt bekommen – Das Leben ist kein Wunschkonzert. Die angepeilte Bestzeit beim Renntraining weit verfehlt – Das Leben ist kein Wunschkonzert. Mal wieder den halben Feierabend im Stau verbracht und bei der Ankunft zu Hause festgestellt, dass kein Bier mehr im Kühlschrank ist – Das Leben… na ja, Ihr wisst schon. Aber was wäre, wenn doch mal jemand hinhört und genau das umsetzt, was sich die Mehrheit wünscht? Zu schön, um wahr zu sein?! Nicht unbedingt.

Was passiert, wenn ein Motorradhersteller auf seine Kunden hört, kann man aktuell an der neuen Yamaha YZF-R6 von Yamaha sehen. Trotz des Einbruchs beziehungsweise vielmehr des langsamen Aussterbens des Supersport-Segments schieben die Japaner für die Saison 2017 eine umfangreich überarbeitete Sechshunderter an den Start. Während die anderen, ehemaligen Größen der Klasse wie Honda, Kawasaki und Triumph die Einführung der Euro4-Norm dazu nutzten, Die SSP-Palette einzustampfen und sich stattdessen auf die Mittelklasse, Alltags- und Kleinkalibermoppeds konzentrieren, wagt Yamaha eine Neuauflage der R6.

 

Yamaha präsentierte die 2017er R6 unter Palmen im südspanischen Almeria. Für Bikini-Girls am Pool war es zwar zu kalt, bei dieser Augenweide hätte ich mich aber wohl immer fürs Mopped entschieden.

Yamaha präsentierte die 2017er R6 unter Palmen im südspanischen Almeria. Für Bikini-Girls am Pool war es zwar zu kalt, bei dieser Augenweide hätte ich mich aber wohl immer fürs Mopped entschieden.

 

Entscheidung des Platzhirschs

Was auf den ersten Blick vielleicht unüberlegt wirkt, ist natürlich wohlbedacht und macht bei genauerer Betrachtung sogar absolut Sinn. Als Yamaha 2006 die R6 das erste Mal grundlegend überarbeitet und die RJ11 auf den Markt gebracht hat, war das Motorrad mit dem extrem hochdrehenden Motor und der ultrasportlichen Sitzposition der mit Abstand kompromissloseste Supersportler. Nur noch bedingt alltagstauglich, entwickelte sich die kleine Schwester der R1 – nicht zuletzt wegen des grandiosen Designs – in den darauffolgenden Jahren dennoch zum erfolgreichsten Supersport Motorrad überhaupt und verkaufte sich allein in Europa über 160.000 Mal. Und auch mit dem Modell 2017 bleibt Yamaha der extremen Philosophie treu, verließ sich dabei aber nicht nur auf die Berater aus der Marketing und Vertriebsabteilung, sondern befragte auch die wichtigste Instanz – die Supersport-Kunden.

Die daraus abgeleitete Aufgabenliste der Yamaha-Ingenieure liest sich wie der Wunschzettel eines Hobby-Racers. Denn neben einem noch schärferen, an Yamahas Speerspitze M1 angelehnten, Design, sind es vor allem Features für die Rennstrecke, die ganz oben auf der Liste der Kundenwünsche standen. Neben einem Elektronikpaket aus Traktionskontrolle (TC), Schaltautomat und verschiedenen Motor-Mappings zählen hierzu eine noch aktivere Sitzposition, besseres Handling sowie ein Race-Kit oder eine M-Version, wie man sie schon von der R1 kennt. Und man ließ bei Yamaha keine Wünsche offen.

 

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Klassisch schön und extrem funktional – das überarbeitete Cockpit gibt nicht nur Info zum Stand der Dinge der neuen Assistenzsysteme wie Traktionskontrolle, Quickshifter und Motor-Mapping, sondern gefällt vor allem durch den analogen und hervorragend ablesbaren Drehzahlmesser.

 

Mehr Sport – weniger Schmalz

Beim ersten Event nach der Winterpause ist man ja immer etwas angespannt. Verschärft wird das Ganze aber noch, wenn man gleich mit der offiziellen Präsentation eines neuen Motorrades startet und sich die Geschichte dann auch noch auf unbekanntem Terrain abspielt. Der Kurs im südspanischen Almeria ist zwar vom Verlauf recht einfach zu lernen, fordert mit Mehrfach-Kurven-Kombis und zwei blinden Ecken aber nicht nur volle Konzentration, sondern vom Strecken-Neuling auch häufig Kurskorrekturen. Hier schafft die neue R6 aber schon ab dem ersten Meter extrem viel Vertrauen. Die Sitzposition ist erwartungsgemäß sportlich, Hände und Füße finden aber dennoch von ganz alleine an den angenehm breiten Lenker und auf die hohen Rasten. Alles ist da, wo man es bei einem Supersportler erwartet. Und es fühlt sich auch alles gut an. Ein Griff nach der leichtgängigen Kupplung, die erste Gangstufe des hervorragend zu schaltenden Getriebes anwählen und schon geht es auf der schönen Sportlerin hinaus ins Unbekannte. Die neue, sechsstufige Traktionskontrolle wurde von den Yamaha-Mitarbeitern für den ersten Turn vorsorglich auf Stufe 3 eingestellt, bereits nach den ersten Kurven wird aber klar, dass man in der Straßenversion auch sehr gut ohne die elektronische Leistungsbremse auskommt. Denn der kleine Reihen-Vierer der neuen ERRR ist in der Euro4-Version alles andere als ein Kraftpaket. Schon die Vorgängerin RJ151 stand mit nominell 124 PS nicht besonders dick im Futter, die neue MY17 musste durch die Anpassung auf Euro4 (jetzt mit zwei Katalysatoren) aber sogar noch mal Feder lassen. Gerade einmal 118,4 PS und knapp 62 Newtonmeter Drehmoment  – 61,7, um genau zu sein – drückt der Vierling laut Yamaha auf die Prüfstandsrolle. Nicht unbedingt Werte, bei denen man befürchten muss, dass die Yamaha Gummi und Asphalt unkontrolliert in Stücke reißt. Dies müsste man aber auch dank des neuen elektronischen Gasgriffs nicht. Denn das nun auch an der R6 vorhandene D-Mode Systems von Yamaha reagiert in allen 3 Einstellungen (A, STD, B) sehr sensibel auf Befehle der Gashand.

 

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Auch mit dem schicken, straßenzugelassenen Akra-Endtopf aus Titan wirkt die neue R6 wie zugekorkt. Zwei Katalysatoren fordern eben Tribut. Für ordentlich Zunder muss man schon zur offenen – und illegalen – Komplettanlage greifen.

 

In dieser Kombination haben die klebrigen Bridgestone R10, die für den Test montiert wurden, leichtes Spiel und die Warnleuchte der Traktionskontrolle bleibt auch bei unwirschem Gasaufziehen am Kurvenausgang dunkel. Man kann sich auf der neuen Strecke also voll und ganz aufs Fahren und die Wahl der passenden Linie konzentrieren. Und genau hier liegen auch die großen Stärken der R6, Jahrgang 2017. Fürs Update griffen die Ingenieure auf bewährtes Material aus dem Yamaha Teilelager zurück und spendierten der neuen nicht nur die Gabel der aktuellen R1, sondern auch deren Bremsanlage. Resultat: die im Durchmesser von 41 auf 43 mm angewachsene Gabel rapportiert hervorragend darüber, was da an der Front gerade Sache ist und ist auch auf der Bremse extrem stabil. Das muss sie auch sein, denn die Kombination aus Nissin Radialbremspumpe, 4-Kolben-Monoblock-Sätteln und den auf 320 Millimeter angewachsenen Scheiben (vorher 310 mm) verzögert hervorragend und wird auch durch das nun obligate ABS nicht eingebremst. Wen man im ersten Moment nicht zu harsch zum Anker greift, lässt das ABS sogar ein Abheben des Hinterrades zu, ohne maßregelnd einzugreifen. Also mit voll gespanntem Hahn raus aus der Kurve, Bremspunkt anvisieren, die Fuhre wieder zusammenbremsen und beim Einlenken auf der Bremse das tolle Handling und Feedback der kleinen R genießen.

 

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Nicht nur optisch sehr attraktiv: Die Front der 2017er R6 glänzt auch durch die Gabel und Bremsanlage der aktuellen R1.

 

Doch nicht nur die Front wurde optisch und technisch aufgewertet. Neben dem Design-Update (die R6 trägt jetzt die Heckverkleidung der R1) bekam die Supersport-R ein überarbeitetes KYB-Federbein, eine leicht modifizierte Schwinge (Achsaufnahme und ABS-Sensorträger – Radstand mit 1375 mm identisch mit RJ15) und einen neuen, im Fahrerbereich 20 Millimeter schmaleren Heckrahmen aus Magnesium. Der spart nicht nur Gewicht sondern vor allem die schlankere Taille macht sich in Wechselkurven und Schikanen sehr positiv bemerkbar und bietet dem Piloten mehr Bewegungsfreiheit. Das Motorrad fährt sich so agil, dass man gar nicht glauben will, dass die 2017er Version gegenüber der alten sogar etwas zugelegt hat. Zwar sparte man mit dem neuen, nun flacheren Alu-Tank 1,2 Kilo, setzt beim Rahmenheck auf Magnesium als Trägermaterial und ließ von Bridgestone sogar ein Sondermodell des S21 fertigen (minus 300 Gramm am Vorderrad, Minus 500 hinten), durch die Anbauteile von der großen Schwester, aber vor allem durch Euro4 und die zusätzlichen Elektronik-Anbauteile hat die Neue nun aber zwei Pfund mehr auf den Hüften (190 statt 189 Kilogramm).

 

Organspende von der großen Schwester: Die Heckpartie wurde eins zu eins von der R-Eins übernommen.

Organspende von der großen Schwester: Die Heckpartie wurde eins zu eins von der R-Eins übernommen.

 

Und plötzlich ist da Leistung

Neben dem Design der MotoGP Rakete M1 und mehr Fahrbarkeit wünschten sich die Yamaha-Jünger vor allem ein Race-Kit als Bonus für die neue R6. Und so wundert es nicht, dass der Zubehörkatalog nicht nur mit schicken, sondern vor allem mit funktionalen Accessoires aufwartet. Von der Rennverkleidung, über Rasten und Hebel, bis hin zum Fernversteller für die Bremse findet man hier alles, was das Racer-Herz höher schlagen lässt. Neben diverser Hardware gibt es allerdings auch zwei Elektronikpakete zur Auswahl und der liquide Kunde kann zwischen einer Cup-ECU (kein ABS aber TC) und der WM-Elektronik (weder ABS, noch TC) wählen. Um das Potential der Neuen aufzuzeigen, hatte Yamaha für den Test auch drei Kit-Motorräder mit in den spanischen Süden gekarrt und so konnten die arrivierte Journalie auch die WM-Variante zum Vergleich zu fahren. Motorseitig unangetastet, verfügte das „WM-Mopped“ zusätzlich über eine offene Akrapovic Titan-Komplettanlage und die WM-ECU mit Anti-Jerk-System. Letzteres gleicht unentwegt die Raddrehzahl von Vorder- und Hinterrad sowie die Getriebegeschwindigkeit ab und passt die Einspritzung entsprechend an, was eine sehr direkte und dabei extrem feinfühlige Gasannahme garantiert.

Und die Kombination überzeugt. Schon beim Anrollen in der Boxengasse gehen aufgrund des Sounds der offenen Akra-Anlage die Mundwinkel nach oben und was dann auf der Strecke passiert, ist einfach Fahrspaß vom Feinsten. Während in der Straßenversion der Motor unter 11.000 Touren schwächelt und ihm ab 15.000 bereits wieder die Puste ausgeht, bietet die Kit-ECU ab 8.000 Umdrehungen verwertbare Leistung, schiebt ab 11.000 ordentlich an und dreht dann freudig bis an die 17-Tausender-Marke und den Begrenzer. Was sich beim Beschleunigen am Kurvenausgang nach 10 bis 15 PS mehr Motorleistung anfühlt, zeigt sich dann am Ende der Gegengerade in realen Zahlen. Gut 25 km/h mehr Topspeed stehen hier am Bremspunkt auf einmal auf der digitalen Uhr. Nun macht sich auch die höhere Scheibe und die verbesserte Aerodynamik (minus 8 Prozent Windwiderstand) bemerkbar. In diesem Moment rückt auch der optionalen Blipper der Kit-Version ins Bewusstsein, da man alle Körner braucht, um die Fuhre noch punktgenau verzögern zu können und den Einlenkpunkt zu erwischen. Die Gänge ohne Kuppeln und spielend leicht runtersteppen zu können, trägt in solchen Situationen ungemein zur Entspannung bei. Und der positive Gesamteindruck wirkt nach. Jeder Tester, der das Kit-Bike fahren konnte, war in der Boxengasse anschließend am seeligen Grinsen zu erkennen.

 

Zum Brennen gemacht. Egal, ob Kit-Motorrad oder Straßenversion, die neue R6 fühlt sich vor allem auf der Rennstrecke wohl.

Zum Brennen gemacht. Egal, ob Kit-Motorrad oder Straßenversion, die neue R6 fühlt sich vor allem auf der Rennstrecke wohl.

Wunschlos glücklich?!

Rattenscharfes Design, Elektronikpaket, Rennsportzubehör – Yamaha schenkte den Supersport-Interessierten Gehör und die neue R6 wartet mit allem auf, was man sich als Hobby-Racer wünschen kann. Damit geht man im Modelljahr 2017 noch konsequenter den Weg in Richtung Rennstreckenmotorrad. Das neue, an die MotoGP angelehnte Design ist zwar sicher auch für den sportlichen Landstraßenfahrer äußerst attraktiv, in der Euro4-Version bleibt hier der Fahrspaß aber sicher etwas auf der Strecke. Und noch einen Punkt hätte man auf der Wunschliste berücksichtigen sollen – den Preis.

Als Motorrad mit langer Zubehörliste und feinen Rennsportteilen hat die R6 zwar das Potential, viele Fahrer sehr glücklich zu machen, ein Einstiegspreis von 13.995,- Euro ins Supersportsegment könnte viele Kaufinteressenten aber abschrecken. Eine Probefahrt solltet Ihr euch aber auf keinen Fall entgehen lassen!

 

TECHNISCHE DATEN – Yamaha YZF-R6

MOTOR

Typ: Reihenvierzylinder, 16V, DOHC

Hubraum: 599 ccm

Bohrung x Hub: 67,0 x 42,5 mm

Verdichtung: 13,1:1

Max. Leistung: 118,4 PS bei 14.000 U/min

Max. Drehmoment: 61,7 Nm bei 10.500 U/min

Motormanagement/Fahrhilfen: ABS, 6-stufige Traktionskontrolle (abschaltbar), 3 Motor-Mappings, Yamaha Chip Controlled Intake (YCCI)

Kupplung: Mehrscheiben-Ölbad-Anti-Hopping-Kupplung

Getriebe: 6-Gang-Getriebe, Schaltautomat (Blipper optional)

FAHRWERK

Vorne: 43-Millimeter-Kayaba-Gabel, 120 mm Federweg, voll einstellbar

Hinten: überarbeitetes Kayaba Federbein, voll einstellbar

Bremsen: 2 x 320-mm-Bremsscheibe, 4-Kolben Monoblock Bremssättel von Nissin, Radialbremspumpe vorne, 220-mm-Einzelscheibe mit Einkolben-Schwimmsattel hinten, ABS (nicht abschaltbar);

Räder/Reifen: Leichtmetall-Gussräder in 3.50 x 17 vorne und 5.50 x17 hinten; 120/70 ZR 17 und 180/55 ZR 17 (Bridgestone S21)

MASSE/GEWICHTE

Radstand: 1375 mm

Lenkkopfwinkel: 66,0 Grad

Nachlauf: 97 mm

Tankinhalt: 17 Liter

Sitzhöhe: 850 mm

Gewicht (fahrfertig, vollgetankt): 190 kg

FARBEN/PREISE

Farben: Racing Blu, Tech Black

Preise: 13.995 ,- € (zzgl. Nebenkosten)

 

 

 

 

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